Unterrichts- und Lehrplan-Absicherung stehen weit vor einer neuen Lernkultur unter digitalen Vorzeichen

    Bildung in Zeiten von Corona …

    Ab Montag werden in Bayern die 4. Klassen als „Abschlussklasse“ für den Übertritt wieder in die Schule gehen. Die Übertrittszeugnisse werden übrigens parallel dazu am gleichen Tag verschickt. Die Note wurde Anfang März dafür eingefroren. Seit dem gab es keinen regulären Unterricht. Die Schüler*innen waren je nach Schule und den häuslichen Gegebenheiten mal gut betreut, mal weniger. Die Arbeitsblätter-Versand-Wut war aber das vorherrschende Mittel, um den ‚Stoff‘ an das Kind zu bringen. Alternative Lehrmethoden, digital unterstützt wurden oftmals auch seitens einiger Schulleitungen abgelehnt (ESfA liegen einige Berichte davon vor).

    Die Digitalisierung unserer Schulen steckt noch in den Kinderschuhen.

    Das hat viele Gründe, die Ausstattung zuhause, schlechte Internetverbindungen, das Grundwissen der LehrerInnen und ein durchgängige funktionierende digitale Plattform, sind nur einige Punkte, die man sofort nennen kann.
    Dass unter solchen Umständen Kultusminister Michael Piazolo dennoch am Probeunterricht für den Übertritt festhält und es zudem zum zentralen Punkt für die 4. Klassen macht,
    „In den „Vorabschlussklassen“ wird die Basis gelegt für die im kommenden Jahr anstehenden Abschlüsse; in der Jahrgangsstufe 4 der Grundschulen rückt insbesondere die Vorbereitung auf den Probeunterricht in den Fokus.“ Fahrplan zur schrittweisen Öffnung der Schulen
    erscheint uns als vollkommen unnötig. Wieso setzt man Kinder im Alter von 9-11 Jahren diesem unnötigen Druck aus? Aber Unterrichts- und Lehrplan-Absicherung stehen weit vor einer neuen Lernkultur unter digitalen Vorzeichen.
    Ein Vorrücken auf Probe wäre die so einfache wie auch pragmatische Lösung. Kinder, die am Montag wieder in die Schule gehen, sollten aus unserer Sicht nicht dem System dienen, sondern fürs Leben lernen. Die gemachten Erfahrungen müssen jetzt verarbeitet werden. Ein Zurückkommen in eine scheinbare Normalität braucht Fingerspitzengefühl und gute Beziehungen. Das allein bedeutet schon eine große Herausforderung, wenn man bedenkt, in welche Schule die Kinder zurückkehren. In eine Schule auf Distanz. Wir können einfach nicht nachvollziehen, wieso man jetzt den Lehrplan durchdrückt und die Selektion weiter auf diese Art und Weise vollzieht.
    ‚Durch diese Corona Krise sehen wir die Mängel des Bildungssystems wie durch ein Vergrößerungsglas‘ Ilka Hoffmann, Bildungsexpertin
    Digitaler UnterrichtWir warten auf kreative zukunftsweisende Konzepte. Laut einer Studie der ICILS (International Computer and Information Literacy Study) nutzen lediglich 4% der Kinder in der 8. Klasse jeden Tag digitale Medien im Unterricht. In Dänemark sind es 91%. Was Digitalisierung angeht, sind Deutschlands Schulen im internationalen Vergleich weit abgehängt.
    Und damit meinen wir nicht die Arbeitsblätter auf eine Plattform zu stellen, von der man diese dann herunterladen kann. Die Digitalisierung alleine kann unser Schulsystem nicht verbessern.

    Es ist dringend notwendig über die Individualisierung von Bildung kreativ nachzudenken.

    Die Hirnforschung weist darauf seit Jahren hin. Die Eigentätigkeit der SchülerInnen muss in den Vordergrund gerückt werden. Die Lernziele müssen sich demnach primär nach dem Kind, nicht nach einem feststehenden Lehrplan richten. Echtes Lernen und nicht das Eintrichtern von Wissen sollte endlich an unseren Schulen zentral werden.

    Und je individueller der Unterricht abläuft, desto vielseitiger muss der Lernraum sein.

    Wir sähen hier eine echte Chance in der Krise. Selbständiges Lernen zu Hause wird vermutlich in Zukunft eine größere Rolle spielen. Aber wo bleiben die zugehörigen Konzepte? Wo der Freiraum für die Schulen? Wo die Weiterbildung für die LehrerInnen? Wo auch die Rechtssicherheit, die Prüfung und zentrale Qualifizierung guter Plattformen? Viele Schulen haben Angst und auch gar keine Kompetenzen dies selbst zu lösen. MS Teams? Zoom? Mebis? Eigenprogrammierungen? Lernprogramme? YouTube-Videos? Konzepte wie das ‚umgedrehte Klassenzimmer (Flipped Classroom), in dem Lehrende Lernvideos bereitstellen und dann im Präsenzunterricht mehr Zeit für Diskussion, kooperativem Lernen oder andere Formen der interaktiven Zusammenarbeit, benötigen gute grundlegende digitale Konzepte.
    Wir vermissen, dass Herr Piazolo solche Themen in den vielen Pressekonferenzen anspricht, dass er sich dazu äußert.
    Wir nehmen mit großem Bedauern zur Kenntnis, dass die ‚alte Schule‘ weiter im Vordergrund steht. Wie sonst kann man in diesen Zeiten den Probeunterricht überhaupt so wichtig nehmen?
     
    Gerade die Coronakrise macht es deutlich, dass Bildung auch noch andere Werte in den Vordergrund stellen sollte, nämlich u.a. Gemeinsinn, Herzensbildung und Verantwortung. Wie wollen wir also unsere Kinder ausbilden bzw. vorbereiten, um unsere zukünftige Gesellschaft zu bereichern und maßgeblich zu beeinflussen, denn basierend auf der vorherrschenden Ausbildung werden sie das tun.
    Christine Lindner
    2. Vorstand von Eine Schule für Alle in Bayern e.V.
    geschrieben am 9. Mai 2020
    Christine Lindner

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