„Jährlich grüßt das Murmeltier Grundschulabitur“ –
    Übertrittszeugnisse in Bayern verschärfen Bildungsungerechtigkeit

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    München, 29. April 2025

    Am 2. Mai ist es wieder so weit: In Bayern erhalten Zehntausende Viertklässler*innen ihr Übertrittszeugnis. Und wie jedes Jahr stellt sich die Frage: Warum halten wir an einem System fest, das nachweislich ungerecht ist und Kindern schadet?

    Die Kritik ist nicht neu. Im Gegenteil: Sie wiederholt sich jährlich wie in einer Endlosschleife. Seit über zehn Jahren warnen Wissenschaftlerinnen, Lehrerinnen und Eltern vor den Folgen dieses starren, selektiven Systems. Doch es ändert sich: nichts. Oder schlimmer noch: Die Situation verschärft sich weiter.

    Neue Willkür beim Übertritt: Rechtschreibung in allen Fächern
    Seit diesem Schuljahr fließt die Rechtschreibung auch in fachfremde Bewertungen ein. Wie stark? Das entscheidet jede Lehrkraft selbst. Diese neue Regelung sorgt für zusätzliche Unsicherheit. Wenn ein Komma oder ein Rechtschreibfehler über den Bildungsweg entscheidet, ist das nicht nur fragwürdig, sondern auch willkürlich.

    Die frühe Trennung ist pädagogisch falsch, gesellschaftlich fragwürdig – und rechnerisch absurd. 
    Ein Rechenbeispiel gefällig?

    • Mathe 2,66 → 3
    • Deutsch 1,66 → 2
    • HSU 2,55 → 3

    Das ergibt einen gerundeten Notenschnitt von 2,67 → Die Folge: Kein Zugang zu Gymnasium oder Realschule, Zuweisung zur Mittelschule. Würde man die exakten Noten zur Berechnung heranziehen, also das Mittel aus 2,66/1,66 und 2,55 errechnen, wäre das Ergebnis 2,29, und würde den Zugang zum Gymnasium gewähren.

    Studie belegt seit 2014: Fast 50 Prozent der Kinder unter Stress
    Prof. Reinders, Universität Würzburg zeigte bereits vor über zehn Jahren:

    • 49,7 % der Kinder erleben beim Übertritt massiven Stress
    • Bei jedem sechsten Kind ist das Kindeswohl gefährdet
    • Kinder aus bildungsfernen Familien sind besonders betroffen

    Seitdem? Keine Änderung. Das Kultusministerium verweist auf die Durchlässigkeit des Systems – aber die Statistik zeigt: Diese Durchlässigkeit findet vor allem nach unten statt.
    Ein Beispiel aus dem Schuljahr 2015/16: Einem Aufsteiger aufs Gymnasium stehen 19 gegenüber.

    Ungleichheit wird reproduziert – mit System
    Besonders chancenlos sind Kinder aus Familien, denen es an Zeit und Geld für Nachhilfe fehlt. Sie haben oft nicht die Möglichkeit, ihre Kinder „nach oben“ zu begleiten. Mit der ständigen Testerei geht zudem wertvolle Zeit verloren – Lernzeit, die gerade jene Kinder bräuchten, die ohne zusätzliche Unterstützung auskommen müssen.

    Zitat Christine Lindner, Vorsitzende von Eine Schule für alle in Bayern e.V.:
    „In keinem Industrieland ist der Bildungserfolg der SchülerInnen so abhängig von ihrer sozialen Herkunft wie in Deutschland. Ein enormes Potenzial ist unserer Gesellschaft so bereits verloren gegangen und Unternehmen beklagen den Mangel an Fachkräften.
    Die OECD mahnt dies seit vielen Jahren, und dennoch leisten wir es uns, die Kinder viel zu früh zu trennen. Wir fordern für Bayern die Zulassung von Gemeinschaftsschulen als weitere Schulart im öffentlichen Schulsystem, um bessere Voraussetzungen für Inklusion und Bildungsgerechtigkeit zu schaffen. Nur so können wir einer Spaltung der Gesellschaft bestmöglich gegensteuern.“

    Was sagt die Bildungsforschung?
    Bildungsforscher John Hattie spricht vom „ungerechtesten Schulsystem, das ich kenne“. Er fordert gemeinsames Lernen, individuelle Förderung und eine moderne Lernkultur. Doch tief verwurzelte Strukturen, kulturelle Widerstände und ein überholtes Lehrerbildungssystem blockieren den Wandel.

    Gute Schulen selektieren nicht – sie ermöglichen
    Beim Deutschen Schulpreis 2025 zeigt sich das deutlich:

    • 13 von 20 nominierten Schulen sind Schulen des längeren gemeinsamen Lernens (Gemeinschaftsschulen, Gesamtschulen, Oberschulen etc.)
    • Der Rest: 4 Grundschulen, 2 Gymnasien, 1 Berufsschule

    Das spricht für sich: Gute Gemeinschaftsschulen braucht das Land. Und Bayern muss aufhören, sich gegen moderne Schulformen zu sperren.

    Unsere Forderungen:

    • Abschaffung des Grundschulabiturs
    • Zulassung von Gemeinschaftsschulen im öffentlichen Schulwesen Bayerns
    • Beratende statt bindende Übertrittsempfehlungen
    • Weniger Testerei, mehr individuelle Förderung
    • Schluss mit dem Druck auf 10-Jährige

    Bayerns Bildungspolitik muss endlich im 21. Jahrhundert ankommen.

    Sie haben Fragen?
    Ansprechpartnerin ist unser 1. Vorstand Christine Lindner
    C.Lindner@eine-schule.de

    Eine Schule für Alle in Bayern e.V. ist Bündnispartner im Bündnis Gemeinschaftsschule Bayern

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