Inklusion im Kindertagesstättenbereich heute & die Rolle und Aufgaben der „Fachkraft für Inklusion“

    Ein Beitrag von Kristina Tausch, Fachkraft für Inklusion (Herbertshausen in Bayern)

    Inklusiv & kompetent

    – das ist mein Anspruch an die pädagogische Arbeit mit Kindern inner- und außerhalb der Kindertagesstätten.

    Mein Ziel ist es, als Mutter eines Kindes mit an Taubheit grenzender Innenohrschwerhörigkeit und als „Fachkraft für Inklusion“ mich in diesem Sinn für die Förderung von Kindern mit besonderen Bedürfnissen und die fachliche Qualität in den Kindertagesstätten in Hinblick auf „Inklusion“ einzusetzen. Nach dem Leitgedanken: „Barrieren abbauen und Teilhabe erweitern“.

    Hintergrund – Gemäß Artikel 20 GG zum „Sozialstaatsprinzip“ und dem Grundrecht „Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden“ (Art. 3 Abs. 3 Satz 2), besteht grundsätzlich die Aufgabe, die Rahmenbedingungen für Chancengleichheit zwischen behinderten und nichtbehinderten Menschen zu schaffen. Die Basis der „Inklusion“ ist die uneingeschränkte Teilhabe aller Menschen in unserer Gesellschaft. Dies gilt es zu fördern und alle bereits bestehenden Integrationsmaßnahmen auf diese „inklusive Vision“ hin auszurichten und auszubauen.

    Dieser inklusive Weg ist ein Entwicklungsprozess, der voraussetzt, kontinuierlich die eigenen Werte und Handlungsweisen zu reflektieren, damit durch die inklusive Pädagogik gemeinsames Leben und Lernen aller Kinder, unabhängig von ihren körperlichen, geistigen und psychischen Bedingungen, sowie ihrer geschlechtlichen, religiösen und ethnisch-kulturellen Ausgangslage möglich wird.

    Ende 2006 wurde in der Vollversammlung der UN mit dem „Übereinkommen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen“ (UN-Konvention) ein internationales Abkommen verfasst, durch das behinderte Kinder auf der ganzen Welt einen Anspruch auf ‘inklusive Bildung’ ohne Diskriminierung und auf der Grundlage der Chancengleichheit haben bzw. bekommen sollen (Art. 24 UN-Konvention) – Deutschland gehörte zu den Erstunterzeichnern des Übereinkommens 2007.

    Diese Vorgaben zu einer inklusiven Förderung werden in den Landesgesetzen über Kindertagesstätten und Kindertagespflege umgesetzt (z.B. in Bayern in § 11 BayKiBiG). In zahlreichen Städten (z.B. im näheren Umkreis: München, Freising und Bergkirchen) entstehen Fachberatungsstellen mit Inklusionsbeauftragten, für betroffene Eltern, aber auch für Kindertageseinrichtungen.

    Gemäß Artikel 30 Abs. 5 Buchstabe d UN-Behindertenrechtskonvention sind die Vertragsstaaten verpflichtet sicherzustellen, dass Kinder mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen Kindern an Spiel-, Erholungs-, Freizeit- und Sportaktivitäten teilnehmen können, einschließlich im schulischen Bereich.

    Persönlicher Bezug –

    Als ausgebildete Erzieherin und zertifizierte Fachkraft für Inklusion habe ich als Leitung eines integrativen Kindergartens mehrjährige Berufserfahrung in der Arbeit mit behinderten und nichtbehinderten Kindern und deren Entwicklungsförderung gesammelt. Zuletzt konnte ich bei einem großen Träger in Dachau die Leitung und das Team einer Kita, projektbezogen als „Fachkraft für Aufgaben der Inklusion“ bei der Umstrukturierung von einer Regel- zu einer Integrationseinrichtung unterstützen und beraten.

    Als Mutter eines Sohnes mit „special needs“ und einer Tochter im Grundschulalter habe ich persönlich, aber auch im Freundeskreis, festgestellt, dass außerhalb einiger „integrativer Einrichtungen“ ein selbstverständliches Miteinander für Kinder mit Beeinträchtigungen in Kinderbetreuungseinrichtungen leider auch bei uns im Dachauer Umland trotz einiger Bemühungen nicht immer möglich ist – und das auch noch 20 Jahre nach der UN-Behindertenrechtskonvention. Damit sich das künftig deutlich verbessert, benötigen Mitarbeiter*innen in allen Kindertageseinrichtungen eine kontinuierliche und gelungene Anleitung durch einen geschulten Fachdienst, sowie zeitliche Ressourcen und reflektierte Handlungskompetenz für den Prozess zur Umsetzung von Inklusion.

    Rahmenbedingungen

    KindergartenkinderLeitungen von Kindertagesstätten werden heutzutage immer häufiger damit konfrontiert, behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Kinder in ihre Einrichtung aufzunehmen, ohne bis dato konzeptionell, räumlich oder (heil-)pädagogisch darauf ein- und ausgerichtet zu sein. Und so stehen die pädagogischen Fachkräfte neuen, umfangreichen Aufgaben als Dreh- und Angelpunkt im inklusiven Prozess gegenüber: strukturelle und konzeptionelle Anpassungen, (heil-)pädagogische Arbeitsprozesse, Gestaltung „förderlicher“ Rahmenbedingungen, Kommunikation und Kooperation (mit Therapeuten, Frühförderstellen etc.) und Reflexion des eigenen Handelns und der pädagogischen Praxis in der Einrichtung. Durch die verschiedenen und vielfältigen Bedarfe, die aufeinander treffen, ist im pädagogischen Alltag „Inklusion“ bereits seit Längerem allgegenwärtiger Bildungsauftrag. Das achtsame Wahrnehmen von Wünschen und Bedürfnissen aller Beteiligten rückt bei dieser Prozessbegleitung – die Barrieren abbaut und das Miteinander fördert – in den Fokus.

    Gerade in Zeiten von „Corona“ ist der Gedanke an eine sinnvolle Umsetzung der Inklusionsverpflichtung in Deutschland, die mit der Ratifizierung der UN Behindertenrechts Konvention eingegangen wurde, allgegenwärtig. Ergänzend zu den Leistungen, die Kindertagesstätten abzudecken haben, werden in Zukunft wohl deutlich mehr ambulante, individualisierte Unterstützungsangebote sinnvoll und nötig sein.

    Was „be-hindert“ uns INKLUSION im Kindertagesstättenbereich umzusetzen?

    Trotz engagierten Personals steht oft mangelndes Fachwissen bezüglich heilpädagogischer Förderung und Entwicklungsstanderhebung oder schlichtweg der Faktor Zeit hindernd im Weg, um Handwerkszeug zu entwickeln und auch auszuwerten bzw. Fördereinheiten für Kinder mit erhöhtem Förderbedarf zu planen. Hinzu kommt mangelnde „Orientierung“: wer, wie weiterhelfen kann und die damit verbundene, notwendige Vernetzung.

    Trägervertreter stellen sich bei Umstrukturierungsideen quer, aus Angst vor zu hohen Kosten; Eltern beeinträchtigter Kinder erfahren viel zu oft klare Empfehlungen für rein sonder- oder heilpädagogische Einrichtungen; Einrichtungen schließen tatsächlich Integrationsgruppen →  was im Ergebnis dazu führt, dass vermutet und kommuniziert wird, dass kein zusätzlicher Bedarf bestünde und  das Gerücht kursiert „alle“ Eltern möchten diesen Sonderstatus und Schonraum der heil- oder sonderpädagogischen Einrichtung. Auf der anderen Seiten stehen Träger, die eine positive „Imagewirkung“ wittern, wenn man sich Integration oder gar Inklusion auf die Fahnen schreibt – Einrichtungen werden eröffnet oder übernommen, Kinder mit erhöhtem Förderbedarf aufgenommen, aber das Personal ist keinesfalls (heil)pädagogisch, emotional oder auch bezüglich der rechtlichen Grundlagen darauf vorbereitet – Gelder für Inhouse- Fortbildungen oder zusätzliche , qualifizierte Fachkräfte fließen nicht, oder erst nach Eröffnung.

    „Die in der Kindertageseinrichtung tätigen Fachkräfte sind der Dreh- und Angelpunkt, wenn es darum geht, Inklusion zu verwirklichen. Ihre Persönlichkeit, ihre Haltung, ihre Kenntnisse und ihre Interventionen beeinflussen maßgeblich die Umsetzung und das Gelingen inklusiver Prozesse in der Kindergruppe“ (vgl. Garai, D. et al. „Die Rolle der Fachkräfte in der inklusiven Bildung und Erziehung“, 2010, S.47).

    Lösungsvorschlag „ Fachkraft für Inklusion“ –

    Damit sich das künftig deutlich verbessert, benötigen Mitarbeiter*innen in allen Kindertageseinrichtungen eine kontinuierliche und gelungene Anleitung durch einen geschulten Fachdienst, sowie zeitliche Ressourcen und reflektierte Handlungskompetenz für den Prozess zur Umsetzung von Inklusion. Inklusion in Kindertagesstätten sollte kein optionales Zusatzprogramm sein, sondern erfordert eine bewusste und kontinuierliche Ausrichtung der pädagogischen Arbeit unter inklusiven Leitgedanken, die sich in allen Bereichen der Einrichtung widerspiegelt und die von allen Mitarbeiter*innen getragen werden sollte. Im Team der Kindertageseinrichtung sollte deshalb eine inklusive Grundhaltung, sowie ein gemeinsames Verständnis von Inklusion wachsen, gelebt und regelmäßig reflektiert werden. Ein/e „Inklusionsbeauftragte/r“ / Fachkraft für Inklusion für den Kinderbetreuungsbereich dient als kompetente/r Ansprechpartner/in für die pädagogischen Fachkräfte der Kindertagesstätte(n) – zur kontinuierlichen Unterstützung für das Qualitätsmanagement, als Orientierungshilfe, für Gesprächsangebote und Beratung, aber auch um entlastendes Bindeglied zu anderen Inklusionsangeboten zu sein, damit diese optimal genutzt werden können.

    Die Fachkraft für Inklusion ist vor diesem Hintergrund nicht nur ausgerichtet auf die Bedarfe des Kindes mit erhöhtem Förderbedarf und deren Eltern, sondern unterstützt hauptsächlich das Team in diesem Entwicklungsprozess.

    Die Fachkraft für Inklusion fördert das Expertenwissen aller Teammitglieder und ist mitverantwortlich für den Ausbau der heilpädagogischen Förderung der Kinder (z.B. in puncto Entwicklungsstanderhebung, Gestaltung der Lern- und Spielumgebung, inklusives Spiel- und Lernmaterial, Beobachtung und Dokumentation, Kommunikation und Konfliktmanagement…)  

    Insbesondere unterstützt die Fachkraft für Inklusion die Einrichtungsleitung und das Team bei der Umsetzung eines entsprechenden inklusiven Leitbildes: Jedes Kind soll in der Kindertageseinrichtung gemäß seiner individuellen Entwicklung und seiner Bedürfnisse gefördert und gefordert werden. Hierbei geht es vor allem darum, das gesamte pädagogische Handeln  auf die Fähigkeiten, Interessen, sowie den Förder- und Hilfebedarf des Kindes abzustimmen. Individualisierte Förderung kann allerdings weitestgehend in den laufenden Gruppenalltag integriert werden, denn die individuellen Erfahrungs- und Lernprozesse des Kindes sind eingebettet in die alltäglichen, wiederkehrenden Abläufe und hauptsächlich in den Kontakt und die Interaktion mit anderen Kindern und Erwachsenen. Lerngelegenheiten bieten sich im Gruppengeschehen und im Spiel. Gegebenenfalls benötigt das jeweilige Kind die Unterstützung durch die Fachkräfte bei Alltagsroutinen, in Spielsituationen und im Kontakt mit anderen Kindern.

    Die Fachkraft für Inklusion bietet Beratung bei fachlichen/pädagogischen Alltagsfragen an, begleitet die Konzeptionsfortschreibungen und die Entwicklung von Qualitätsstandards  inklusiver Pädagogik und treibt die Vernetzung mit Kooperationspartnern und den Austausch in Fachgremien mit Dokumentation des Inklusionsprozesses voran.

    Sie soll ebenso beratend und unterstützend tätig werden bei der Gestaltung der Elternarbeit und der Begleitung von Elterngesprächen bei Kindern mit erhöhtem Förderbedarf, damit die inklusive Pädagogik mit gemeinsamem Spielen und Lernen ausgebaut und dadurch auch die Team- und Elternarbeit bereichert wird. Damit alle für die Akzeptanz aller Kinder und aller Mitarbeiter/-innen eintreten, einen partnerschaftlichen Umgang vorleben und mit Unterschieden kreativ umgehen lernen. Dazu gehören auch die Entwicklung eines inklusiven Leitbildes und einer entsprechenden Konzeption, wie auch die Umsetzung konkreter pädagogischer Prozesse und Erarbeitung pädagogischer „Hilfsmittel“ (wie Anamnesebögen, Beobachtungsraster, Förderpläne, …) in der täglichen Arbeit.

    INKLUSION

    Mai 2020

    Kristina Tausch

    Fachkraft für Inklusion

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